Offenburg, 26. April 2012. Bewegung und Sport bei Krebs? Lange Zeit glaubte man, an Krebs erkrankte oder von einer Krebserkrankung genesene Menschen müssten sich schonen, und Bewegung, gar Sport, könne die Erkrankung verschlimmern. Inzwischen ist das Gegenteil erwiesen: Sportliche Betätigung beeinflusst den Krankheitsverlauf positiv.
Onkologisches Zentrum Ortenau
„Leider nimmt die Bewegungstherapie bei Krebserkrankungen und vor allem in Rehabilitation noch immer eine zu geringe Rolle ein“, so Dr. Ulrich Freund, Chefarzt Radio-Onkologie und Onkologischer Schwerpunkt am Ortenau Klinikum Offenburg Ebertplatz und gemeinsam mit seinen Stellvertretern Dr. Andreas Jakob und Dr. Matthias Egger Leiter des Onkologischen Zentrums der Ortenau (OZO). Das OZO ist ein Zusammenschluss der onkologisch tätigen Fachkliniken im Ortenaukreis. Es bündelt alle in die Krebsbehandlung eingebundenen Fachdisziplinen und führt das Wissen unterschiedlicher Experten zusammen: Vorbeugung, Früherkennung, Diagnostik, operative, medikamentöse und radioonkologische Therapie sowie Rehabilitation.
Sport als Medizin
Die Behandlung einer Krebserkrankung führt meist zu erheblichen, körperlichen wie seelischen Belastungen für die Betroffenen. Nicht selten ist ein längerer Krankenhausaufenthalt notwendig, bei dem sich die Patienten wenig, im schlimmsten Falle sogar überhaupt nicht bewegen. „Immobilität aufgrund einer Krebserkrankung führt nicht selten zu Depressionen, was die Erschöpfung noch weiter verstärkt – ein Teufelskreis kommt in Gang“, so Dr. Freund. Am Onkologischen Zentrum Ortenau nimmt Bewegungstherapie bei Krebserkrankungen deshalb von Anfang an eine wichtige Rolle ein. „Neue Untersuchungen zeigen deutlich, dass Patienten bereits während ihrer Behandlung mit einer individuell abgestimmten Bewegungstherapie beginnen sollten“, merkt Dr. Freund an.
Richtige Dosis
Denn: Kein Medikament kann die positiven Wirkungen von sportlicher Betätigung ersetzen. „Viele Krebspatienten nehmen durch die Erkrankung den eigenen Körper als Feind wahr“, sagt Dr. Andreas Jakob, Chefarzt der Klinik für Hämatologie und Onkologie am Ortenau Klinikum Offenburg Ebertplatz. „Dank körperlicher Betätigung bauen sie ihr Körperbild wieder positiv auf. Auch mit dem Krebs verbundene Ängste kann man regelrecht wegtrainieren.“ Aktivität wirkt sich positiv auf das körperliche, seelische und soziale Befinden aus. Dennoch gilt es, ein individuelles Konzept mit der richtigen Dosierung zu finden. „Es sollte nie darum gehen, sich zu verausgaben oder mit früheren Leistungen zu messen, sondern vielmehr darum, das allgemeine Befinden aufzufrischen und das Immunsystem zu stärken.“
Individuell abgestimmtes Konzept
Ein Leukämiekranker muss eine andere Form der Aktivität und Bewegung finden als ein Patient, dem ein Prostatakarzinom entfernt wurde. Jede Erkrankung birgt einen anderen Verlauf, andere Nebenwirkungen und Heilungschancen. Bewegung bei Brustkrebs beispielsweise kann Muskelverkürzungen vermeiden und bereits bestehende Lymphödeme bessern, dafür eignen sich Ausdauersportarten wie Nordic Walking, Schwimmen oder Radfahren. Sport bei Prostatakrebs verbessert insbesondere die Kontinenz; ein häufiges Problem bei Männern, denen die Prostata entfernt wurde. Auch hier empfehlen sich Ausdauersportarten, aber auch Krafttraining.
Ein gutes Beispiel für die positive Wirkung von Sport bei Krebserkrankungen gibt Klaus Ritter. Der 59jährige Prostatakrebspatient des Ortenau Klinikums ist ein passionierter Läufer, der schon kurz nach seiner Operation im Dezember 2010 bei Chefarzt Priv.-Doz. Dr. Jörg Simon am spezialisierten Prostatakarzinomzentrum Ortenau und daVinci(R) Zentrum Ortenau Offenburg Ebertplatz wieder zu laufen begann. So wurde er nicht nur schnell beschwerdefrei, sondern tritt sogar am kommenden Sonntag, 29. April 2012, zu seinem ersten Marathonlauf in Hamburg an. „Ganz generell gilt: Es gibt kein Bewegungsverbot für Krebspatienten“, so Dr. Jakob.
Interview
Fragen an Dr. Ulrich Freund, Leiter des Onkologischen Zentrums der Ortenau (OZO), und Stellvertreter Dr. Andreas Jakob
Herr Dr. Freund, Herr Dr. Jakob, wodurch zeichnet sich das Onkologische Zentrum der Ortenau aus?
Dr. Freund: „Das Onkologische Zentrum der Ortenau ist ein Zusammenschluss der onkologisch tätigen Fachkliniken im Ortenaukreis mit dem Ziel, eine Behandlung unserer Krebs-Patienten auf höchstem Niveau zu gewährleisten. Das OZO ist ein zertifiziertes Zentrum der Deutschen Krebsgesellschaft.
Dr. Jakob: In wöchentlichen Tumorkonferenzen werden die Krebsfälle der Kliniken aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Fachbereiche und neuester Forschungsergebnisse besprochen. Ein weiterer, wichtiger Aspekt ist auch die psychoonkologische Beratung, die Erkrankten und Angehörigen bei der seelischen Bewältigung der Erkrankung hilft, sowie die Brückenpflege des Ortenaukreises mit ausgewiesenen onkologischen Fachpflegekräften.“
Herr Dr. Freund, ist bei Krebs nicht Bettruhe angesagt?
Dr. Freund: „Dosierter Ausdauersport wirkt der typischen Abgeschlagenheit bei Krebserkrankungen entgegen und verbessert häufig die Prognosen der Patienten. Dagegen schwächt zu viel Ruhe das Herz-Kreislauf-System und den Bewegungsapparat. Krank macht uns also nicht der Sport, den wir treiben, sondern der Sport, den wir nicht treiben. Dieser positive Gedanke zeigt sich übrigens auch in den mittlerweile über 650 deutschen Krebssportgruppen, die Betroffenen Angebote vom Rudern bis hin zu Nordic-Walking bieten. Schon während des stationären Aufenthaltes beginnen wir deshalb mit dosierter körperlicher Aktivität unter Anleitung wie Gymnastik und Fahrradergometer.“
Herr Dr. Jakob, ab wann können Betroffene mit körperlicher Aktivität beginnen?
Dr Jakob: „Vorausgesetzt, es gibt eine entsprechende physiotherapeutische Anleitung: Am besten bereits in der behandelnden Klinik. Am Onkologischen Zentrum Ortenau sind dafür entsprechend geschulte Pflege- und Reha-Experten tätig. Je früher Patienten körperlich aktiv werden, desto besser wirken sie auch sozialer Isolation entgegen. Auch das Gemeinschaftsgefühl in Krebssportgruppen tut den Patienten sichtlich gut.
Wenn es die Nebenwirkungen zulassen, kann beispielsweise auch während einer Chemotherapie oder Strahlentherapie mit gezielter Bewegung begonnen werden.“
Herr Dr. Freund, gibt es auch Fälle, in denen von einer Bewegungstherapie abzuraten ist?
Dr. Freund: „Sicher gibt es auch sogenannte Kontraindikationen: Bei akuten Infektionen mit Fieber oder einem zu niedrigen Wert an roten Blutkörperchen ist Sport tabu. Ebenso bei Schmerzen, die ein Training unmöglich machen, oder wenn Knochenbruchgefahr bei Metastasen besteht. Ob in solchen Fällen körperliche Aktivität möglich ist und wie intensiv sie sein darf, muss immer mit dem Arzt besprochen werden. Sollte eine Chemotherapie stark herzbelastend sein, muss ebenfalls der Arzt gefragt werden.“